3. Akt - Isabel and Crespo.
ISABEL: 
Ach! gar viel mußt du erfahren;
Und notwendig wird, erbittert,
Sich dein Mut zur Rach' entflammen,
Eh ich alles dir berichtet.
Gestern abend noch genoß ich,
Unbesorgt, des sichern Friedens,
Den, im Schutze deines Alters,
Meine Jugend mir bestimmte;
Als auf einmal die vermummten
Frevler, mit dem argen Willen,
Das, was Ehre stets verteidigt,
Durch Gewaltthat zu besiegen,
Fort mich raubten: wie der Wolf,
Hungrig und voll Blutbegierde.
Raubt das unerfahrne Lämmlein
Von des Mutterschafes Zitzen.
Jener Hauptmann, jener rohe,
Undankbare Gast, der mit sich
Bracht' in unser friedlich Haus
Solch ein nie erlebt Gewirre
Von Verräterei'n und Ränken,
Von Zerrüttungen und Zwisten,
Er war's, der mit frechen Armen
Mich umschloß, indes vorsichtig
Ihm den Rücken deckten andre
Frevler, die der Fahne dienen.
Dieser Berg, der gleich am Dorfe
Sich erhebt, gewährt' im dichten
Waldgebüsch ihm sichre Freistatt;
Wann nicht waren die Gebirge
Freistatt frevelnder Gewalt?
Zwiefach dort mir selbst entrissen
Sah ich mich, als auch dein Rufen,
Das du jammernd nach mir schicktest,
Mich verließ, weil schon die Lüfte,
Welchen du dein Klaggewimmer
Anvertraut, mit jedem Schritt
Immer mehr und mehr entwichen,
So daß, was zuerst war deutlich
Ausgesprochner Wort' Erklingen,
Nicht mehr Stimme war, nur Schall,
Rasch hinweggeführt vom Winde;
Nicht mehr Stimme, nur ein Echo
Unbestimmt verworrnen Schwirrens:
Wie, wer die Trommete hört,
Ihrer Nähe sich entziehend,
Noch durch lange Zeit vernimmt,
Wenn nicht Klanggetön, doch Schwirren.
Der Verräter nun, gewahrend,
Daß ihm niemand nachgeschritten,
Daß mich niemand mehr beschütze
(Denn sogar der Mond vertilgte,
Um sich ziehend dunkle Wolken,
Grausam oder rachbegierig
– Weh mir! – das erborgte Licht,
Das er von der Sonn' entliehen),
Er versuchte jetzt – o weh mir
Tausendmal! – mit hinterlist'gen,
Falschen Worten zu entschuld'gen
Seine Liebe. Wer nur immer
Wird nicht staunen, daß Beleid'gung
Gelten will für zartes Minnen?
Weh dem Manne, weh dem Manne,
Welcher sinnet, Frauenliebe
Durch Gewaltthat zu erwerben!
Denn er merkt nicht, denn er sieht nicht,
Daß des Liebeglücks Triumphe
Nicht bestehn im Beut' erringen,
Sondern darin, eines Herzens
Freie Neigung zu gewinnen;
Denn wer die gekränkte Schönheit
Liebet ohne Gegenliebe,
Dieser liebt ein schönes Weib,
Dem das Leben schon entwichen.
Wie viel Bitten, wie viel Klagen,
Bald demütig, bald erbittert,
Bracht' ich vor! Jedoch vergebens;
Denn (hier schweige, meine Stimme!)
Uebermütig (still, mein Jammer!),
Schamlos (meine Seufzer, wimmert!),
Tierisch roh (ihr Augen, weinet!),
Grausam wild (mein Atem, schwinde!),
Schrecklich (Bosheit, werde taub!),
Ungestüm (o Nacht, umgib mich!), – –
Und wenn, was der Stimme fehlt,
Manchmal die Gebärde schildert,
Deck' ich nun vor Scham mein Antlitz,
Thränen vor Verdruß vergieß' ich,
Schlag' an meine Brust vor Grimm,
Und vor Wut die Hände ring' ich;
Du, verstehe die Gebärden,
Denn die Sprache fehlt der Stimme.
Gnug, indes der Widerhall
Meiner Klagen tönt' im Winde
Und nicht Hilfe mehr, nur Rache
Heischte von der Macht des Himmels,
Kam Aurora; und mit ihr,
Der das Licht zum Führer diente,
Hört' ich ein Geräusch im Walde.
Um mich schauend, Gott! erblick' ich
Meinen Bruder. – O grausames
Schicksal! Wann, o wann nur immer
Ist das Glück dem Unglücksel'gen
Früh genug zur Hilf' erschienen?
Er, beim zweifelhaften Licht,
Das, wenn nicht erhellt, doch schimmert,
Er erkennt sogleich mein Elend,
Eh's ihm jemand noch berichtet;
Denn luchsäugig ist der Schmerz
Und sein Blick durch alles dringend.
Ohn' ein einzig Wort, entblößt er
Jenes Schwert, das du an diesem
Tag ihm selber gabst. Der Hauptmann,
Der die späte Hilf' erblicket,
Die mir naht, zieht gegen jene
Alsobald die blanke Klinge.
Los stürzt einer auf den andern,
Bald angreifend, bald sich schirmend;
Und ich, während diese zwei
In so mut'gem Kampf begriffen,
Furchtsam und gebeugt, erwägend,
Daß mein Bruder ja nicht wisse,
Ob ich Schuld hab' oder nicht,
Und bei der Erklärung zitternd
Für mein Leben – ich nun wende
Schnell den Rücken und entfliehe
Durch des Berges dichte Waldung.
Doch die Flucht – nicht so geschwinde
War sie, daß ich nicht zuweilen
Lauschte durch der Zweige Gitter;
Denn, mein Vater, mich verlangte,
Das, dem ich entfloh, zu wissen.
Bald sah ich des Hauptmanns Blut
Fließen von des Bruders Klinge.
Jener fiel; Juan wollt' ihm helfen,
Als die Leute, die erschienen,
Ihren Hauptmann aufzusuchen,
Auf ihn ein voll Rachsucht dringen.
Wehren will er sich; doch sehend,
Daß er kämpfen muß mit vielen,
Flieht er schnell. Sie folgen nicht,
Weil sie alle sich entschließen,
Lieber ihren Herrn zu retten,
Als ihm Rache zu erringen.
Auf dem Arm den Hauptmann tragend,
Stiegen sie ins Dorf hernieder,
Ohn' an sein Vergehn zu denken;
Denn im Drange so verschiednen
Unheils wollten sie zuerst
Das Notwendigste vollbringen.
Ich nun, die mit bangem Lauschen
Sah verkettet und verwickelt
Ein Bedrängnis mit dem andern,
Blind, verwirrt, von Angst ergriffen,
Ohne Licht und Rat und Leitung,
Rannt' umher, klomm auf, stieg nieder
Im Gebirg, im Thal, im Walde;
Bis ich, dir zu Füßen sinkend,
Ehe du den Tod mir gebest,
Dir mein ganzes Leid berichtet.
Und jetzt, da du alles weißt,
Jetzt, als ein gestrenger Richter,
Wende gegen mich den Stahl,
Gegen mich des Muts Ergrimmen.
Denn damit du jetzt mich tötest,
Löset diese schnöden Stricke
Meine Hand; laß ihrer ein'ge
Sich um meinen Nacken schlingen. (Sie bindet ihren Vater los.)
Deine Tochter bin ich, ehrlos,
Und du frei; deshalb gewinne
Würd'ges Lob durch meinen Tod.
Laß den Ruf von dir berichten,
Daß, um Leben deiner Ehre,
Du den Tod gabst deinem Kinde. (Sie kniet.)
